Die letzte Sitzung des Jahres fand aufgrund der steigenden Corona-Zahlen wieder in hybrider Form statt – vor Ort in Berlin und digital. Wie umgehen mit unterschiedlichen Standpunkten im NBG? Diese Frage war ebenso ein Thema wie die vier Gutachten zur Methodenentwicklung.
18 Mitglieder, 18 Persönlichkeiten, unterschiedliche Meinungen – diese Vielfalt zeichnet das Nationale Begleitgremium aus. Sie ist eine Chance, aber auch eine große Herausforderung. Wie geht man mit Dissens um, gerade wenn es ganz grundsätzliche Fragen betrifft? Darüber wurde auf der 57. Sitzung diskutiert.
Die Mehrheit im Gremium hatte sich für einen internen Austausch darüber ausgesprochen und vorgeschlagen, im öffentlichen Teil über die wichtigsten Eckpunkte zu berichten. NBG-Mitglied Klaus Brunsmeier hätte es dagegen explizit begrüßt, wenn man diese Debatte nicht intern, sondern direkt öffentlich geführt hätte (
Stellungnahme von NBG-Mitglied Klaus Brunsmeier
).
Was war überhaupt der Auslöser für diese Grundsatzdiskussion gewesen? In den letzten Wochen stellten einige Länder den Ausstieg aus der Atomenergie in Frage, medial wurde immer wieder von der "Renaissance der Atomkraft" berichtet. Hinzu kam die Diskussion rund um die Taxonomie auf europäischer Ebene.
Worum geht es?
Seit Monaten arbeitet die EU-Kommission an einem neuen Standard, der unter anderem festlegen soll, welche Investitionen künftig in der Europäischen Union als nachhaltig gelten: die sogenannte EU-Taxonomie. Die Frage, die heiß diskutiert wird, ist, ob z.B. Atomenergie dieses Nachhaltigkeitssiegel erhalten sollte. Länder wie Frankreich, Ungarn und Polen sind dafür.
Solch eine Einstufung als nachhaltige Investition hätte langfristige Folgen. Banken, Versicherungen oder Unternehmen richten sich bei ihren zukünftigen Investitionen nach diesen EU-Standards. In Sparten mit solch einem EU-Siegel würden zudem auch europäische Fördergelder fließen. Es geht also um eine wichtige Weichenstellung, was das öffentliche Interesse an diesem sensiblen Thema erklärt.
YouTube-Livestream 57. NBG-Sitzung (10.12.2021)
Wie positioniert sich das NBG?
Sollte sich das NBG in solch eine politische Debatte einmischen? Das Gremium diskutierte intensiv darüber. Auch weil ein WDR-Interview des Ko-Vorsitzenden des NBG, Armin Grunwald, für öffentliche Irritationen gesorgt hatte. Trotz Klarstellung von seiner Seite stand plötzlich der Vorwurf im Raum, das NBG trage den gesetzlich vereinbarten Atomausstieg nicht mehr mit. Fragen nach der Grundhaltung des Gremiums wurden laut.
Fakt ist: Das NBG ist ein plurales und diverses Gremium, in dem es unterschiedliche Perspektiven gibt und auch geben soll. Aber zweifelsfrei steht ebenso fest: Das Nationale Begleitgremium steht hinter dem gesetzlich verankerten Ausstieg aus der Atomenergie.
Diese politische Entscheidung wurde mit großer Mehrheit gefällt und ist das Fundament des Standortauswahlgesetzes. Das NBG stellt diese gesetzliche Grundlage nicht in Frage.
Gremium steht hinter dem gesetzlichen Atomausstieg
Vielmehr ist das Gremium fest davon überzeugt: Wer leichtfertig den erzielten Kompromiss zum Ausstieg aufs Spiel setzt, gefährdet die Endlagersuche und verspielt Vertrauen. Die Politik hat versprochen und gesetzlich geregelt, dass nach 2022 Schluss ist mit der Nutzung der Atomenergie. Auf dieses Versprechen muss Verlass sein.
Diese Haltung bekräftigte das NBG nochmals klar und deutlich auf seiner Sitzung.
Zugleich möchte das NBG eine sachliche Diskussion darüber führen und gerade jene Menschen und Gruppierungen zu einem direkten Austausch einladen, die sich besorgt über die Grundhaltung des Gremiums zeigten. Dialog statt Missinterpretationen!
Eignung in Frage stellen?
Wie wichtig solche Gespräche sind, um Ängsten und auch Falschinformationen entgegenzutreten, davon berichtete NBG-Mitglied Arnjo Sittig. Der Vertreter der jungen Generation hatte an einer Gesprächsrunde der Hochschule Coburg teilgenommen. Einige kommunale Vertreter*innen hatten dabei die grundsätzliche Eignung ihrer Region als Endlagerstandort in Frage gestellt.
„Not in my backyard! Nicht in meinem Hinterhof!“ – diese Haltung kommt in letzter Zeit immer wieder auf, was das NBG mit Sorge beobachtet. Schließlich fußt das Verfahren auf der Idee der „weißen Landkarte“. Keine Region ist von vornherein als Endlagerstandort ausgeschlossen. Die Entscheidung soll nicht nach politischen Interessen, sondern nach wissenschaftlichen Kriterien gefällt werden.
Umso wichtiger ist es, dass das NBG als unabhängiger Beobachter wichtige Schritte im Verfahren durch eigene wissenschaftliche Gutachten überprüfen lässt – um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu schaffen und um die Diskussionen immer wieder auf eine sachliche Ebene zu lenken.
NBG-Gutachten im Fokus
Auf der Dezember-Sitzung wurden nun vier solcher Gutachten vorgestellt. Die NBG-Sachverständigen hatten jene Gebiete, die von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zur Methodenentwicklung ausgewählt worden sind unter die Lupe genommen.
Ist die Auswahl nachvollziehbar? Sind diese Modellgebiete überhaupt geeignet, um Rückschlüsse auf andere Regionen mit den Wirtsgesteinen Salz, Ton und Kristallin zu ziehen?
Alle vier Gutachter kommen zu dem Schluss, dass die jeweiligen Gebiete dafür geeignet sind, Methoden für die weitere Eingrenzung zu entwickeln. Gleichzeitig sehen alle einen großen Nachholbedarf in puncto verständliche Kommunikation und Digitalisierung.
Viele geologische Daten liegen bei den geologischen Landesdiensten noch in analoger Form vor. Aktenberge statt digitaler Cloudsysteme! Deutschland sei bei diesem Thema noch im „Postkutschen“-Zeitalter – so bringt es ein Gutachter auf den Punkt.
Tempo bei der Digitalisierung
Dabei ist die Digitalisierung essentiell für das Verfahren. Die geologischen Daten sind das Herzstück der Endlagersuche. Zwar hat die BGE mit ihrer Digitalisierung begonnen, aber reicht das Tempo, um die riesigen Datenmassen zu bewältigen? Einige der NBG-Gutachter sind da skeptisch.
Vielmehr sprechen sie sich für eine Art „Geodaten-Taskforce“ aus – ein bundesweit koordinierter Zusammenschluss von Expert*innen, der das Fachwissen aus den Universitäten, Forschungseinrichtungen und den geologischen Landesdiensten bündelt und vernetzt.
Für das NBG sind solche wissenschaftlichen Impulse Teil des lernenden Verfahrens und eine Voraussetzung für seinen Erfolg.
Aygül Cizmecioglu
Die Kurzberichte greifen ohne Anspruch auf Vollständigkeit ein paar Schlaglichter aus den Sitzungen auf. Ausführliche Informationen finden Sie im Ergebnisprotokoll anbei.
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