Über den eigenen Tellerrand schauen – das war die Devise auf der NBG-Sitzung in Freiburg. Wie läuft die Suche nach einem Endlager bei unseren Schweizer Nachbarn ab? Welche Hürden wurden dort schon genommen? Wo hakt es noch? Und welche Lehren lassen sich daraus für Deutschland ziehen?
Ein anderes Land, eine andere politische Kultur und doch die gleiche Herausforderung: Wie gehen wir verantwortungsvoll mit unseren atomaren Altlasten um und finden einen Weg, diese für eine lange Zeit und so sicher wie möglich zu lagern? Die Schweiz stellte sich diese Frage schon recht früh und startete 2008 ihre Endlagersuche. Wie in Deutschland gilt auch dort der Grundsatz: der eigene Atommüll soll auch im eigenen Land entsorgt und gelagert werden.
Mehr Zeit als in Deutschland
Der Schweizer Plan: bis 2031 will man sich für einen Standort entscheiden. Auch in Deutschland wird 2031 angestrebt – nur dass man hierzulande erst 2017 die Endlagersuche auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und neu angefangen hat. Im Klartext: Deutschland nimmt sich für so eine gesellschaftliche Mammutaufgabe rund neun Jahre weniger Zeit als die Schweizer.
Auch ein Grund, warum die Referenten aus der Schweiz den deutschen Zeitplan „ambitioniert“ nannten. Stefan Jordi vom Bundesamt für Energie (BFE) ist im Schweizer Verfahren federführend für die Partizipation zuständig. Der Politologe stellte in Freiburg die wichtigsten Wegmarken vor. Auch in der Schweiz ist der Suchprozess in drei Phasen eingeteilt, auch hier gilt Sicherheit als oberste Priorität. Als Gesteinstyp hat man sich hier bereits auf Opalinuston festgelegt.
In Sichtweite zur Grenze
Die möglichen Standorte für ein Tiefenlager wurden bereits auf drei Regionen reduziert – Zürich Nordost, Jura Ost und Nördlich Lägern. Und hier kommt die Brisanz: alle drei Gebiete liegen vis-à-vis zur deutschen Grenze. Das heißt: ein zukünftiges Schweizer Endlager ist nicht nur eine Herausforderung für die Eidgenossen, sondern betrifft auch die deutschen Nachbarn - vor allem in Südbaden.
Um auch deren Sicht zu erfahren, war Martin Steinebrunner von der Deutschen Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager (DKST) eingeladen. Die DKST unterstützt, informiert und koordiniert alle deutschen Akteure im Schweizer Suchprozess. Mit Verwunderung hätte man wahrgenommen, dass nicht einmal eine Abstandsregelung von fünf Kilometern in der Grenzregion eingehalten werden soll.
Einige Kritiker vor allem auf der deutschen Seite unken: bei der Wahl der potentiellen Standorte für ein Schweizer Tiefenlager direkt an der deutschen Grenze hätten eigene Nationalinteressen im Vordergrund gestanden.
Zu wenig Frauen und junge Menschen
Stefan Jordi vom Schweizer BFE kann das nicht nachvollziehen. Er ist für die sogenannten Regionalkonferenzen in der Schweiz verantwortlich. Hier kommen lokale Kantonsvertreter*innen und interessierte Bürger*innen zusammen, um sich zu informieren und den Suchprozess beratend zu begleiten. Mit dabei: auch Vertreter*innen von der deutschen Seite. Doch genau die bemängeln, dass ihre Fragen und Ideen in den Regionalkonferenzen nicht wirklich Gehör finden.
Dabei ist das Ziel hinter den Regionalkonferenzen: interessierte Laien ernst nehmen und ihnen die Chance geben, Sachkompetenz aufzubauen. Dafür hat das BFE bereits über 20 Millionen Schweizer Franken in diese Partizipationsformate gesteckt. Das Geld floss z. B. in externe Gutachten und in die Entschädigung ehrenamtlicher Teilnehmer*innen.
Laut BFE zeigen erste Evaluierungen der Uni Bern: das Format werde weitgehend angenommen. Es gäbe wenig Fluktuation, viele Teilnehmende seien von Anfang an dabei. Die Wissensvermittlung über Workshops funktioniere. Ein großes Manko: junge Menschen und vor allem Frauen seien unterrepräsentiert.
Beteiligung ist kein Selbstläufer
Stefan Jordi unterstreicht die wichtige Rolle dieser Regionalkonferenzen, sagt aber auch, dass Partizipation nicht vom Schreibtisch aus funktioniere. Man müsse zu den Menschen hingehen und bereit sein, zuzuhören und ihre Fragen zu beantworten. Beteiligung ist also kein Selbstläufer!
Kritiker bemängeln dagegen, dass die Regionalkonferenzen „Feigenblätter“ seien und wenig politische Wirkungsmacht hätten. Marcos Buser gehört zu den profiliertesten Schweizer Experten auf dem Gebiet der Kernenergie und nachhaltige Abfallwirtschaft. Er saß einst in der Expertenkommission für das Schweizer Endlagerkonzept und sieht das Schweizer Suchverfahren heute kritisch. Das Grunddilemma in seiner Heimat sei - eine starke Atomwirtschaft würde den Takt vorgeben, die Politik und die Behörden würden dem folgen.
Anderes Land, andere Kultur
Erschwerend käme hinzu, dass in der Schweiz Transparenz gesellschaftlich nicht im Vordergrund stünde - im Gegensatz zu Deutschland. Aber kann man das deutsche und das Schweizer Suchverfahren wirklich miteinander vergleichen? Es gibt grundlegende politische und kulturelle Unterschiede zwischen beiden Ländern.
In der Schweiz herrscht eine ganz andere Streitkultur, die Kommunikation ist weitaus weniger konfrontativ, die Fronten beim Thema Atommüll nicht so verhärtet wie in Deutschland. Hier blickt man auf eine jahrzehntelange Konfliktgeschichte zurück – aber auch auf eine über Jahre gewachsene Expertise z. B. bei vielen Bürgerinitiativen.
Keine Betroffenheit, kein Interesse?
Das NBG möchte diese Erfahrung mit in den deutschen Suchprozess einbinden. Zivilgesellschaftliche Gruppen, Wissenschaftler*innen, Umweltverbände, interessierte Bürger*innen – sie alle sollten das Verfahren auf Augenhöhe mit den politischen Akteuren mitgestalten. Die Zeit rennt, die erste Phase im Verfahren ist bald zu Ende.
Gleichzeitig ist es schwer, Menschen im Moment, wo es noch keine Betroffenheit gibt, für das Thema zu interessieren. Stehen aber die potentiellen Standorte für ein Endlager fest, ist der Prozess schon so weit fortgeschritten, das man kaum noch Einfluss nehmen kann. Expert*innen sprechen hier von einem „Beteiligungsparadoxon“.
Zwei Länder, zwei Perspektiven
Die Schweizer Referenten betonten, wie vorbildlich sie die Aufarbeitung der Vergangenheit in puncto Atommüll in Deutschland wahrnehmen. Dass hierzulande viele gerade bei dem Thema noch großen Nachholbedarf sehen, zeigt: Der Blick von außen ist manchmal ein ganz anderer als der eigene.
Aygül Cizmecioglu
Die Kurzberichte greifen ohne Anspruch auf Vollständigkeit ein paar Schlaglichter aus den Sitzungen auf. Ausführliche Informationen finden Sie in dem Ergebnisprotokoll anbei.
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