Sich vor Ort ein eigenes Bild machen – das gehört zur guten Praxis des NBG. Am 19. Februar tagte das Gremium in Jülich, um sich im Rahmen seiner 26. Sitzung mit Vertretern der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN) auszutauschen. Die Situation des dortigen Zwischenlagers für hochradioaktive Materialien ist eine ganz besondere.
Das Forschungszentrum Jülich (FZJ) hat sich von einer Mitte der 1950er Jahre gegründeten Atomforschungsanlage hin zu einer multidisziplinären Forschungsstätte mit rund 6.000 Mitarbeitenden entwickelt. Es sind vor allem die Altlasten aus der Vergangenheit, die Sorgen und sehr viel Arbeit machen: Die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor GmbH (AVR) in Jülich betrieb zwischen 1967 und 1988 mit dem Kugelhaufen-Hochtemperaturreaktor den ersten seiner Art. Aus dem Betrieb stammen knapp 290.000 Brennelemente-Kugeln, die heute in einem Zwischenlager mit 152 Behältern aufbewahrt werden. Dieses Zwischenlager, auch AVR-Behälterlager genannt, wird heute von der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen mbH (JEN) betrieben.
Wohin mit dem Müll?
Das Problem: Die Genehmigung ist Ende Juni 2013 ausgelaufen. Am 2. Juli 2014 hat das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium eine atomrechtliche Anordnung zur unverzüglichen Entfernung der AVR-Brennelemente erlassen und dem damaligen Betreiber FZJ aufgetragen, ein Räumungskonzept vorzulegen. Das liegt seit Herbst 2014 auf dem Tisch – aber eine Entscheidung ist immer noch nicht gefällt.
Seit vielen Jahren stehen drei Optionen im Raum und mit ihnen viele Fragen und widerstrebende Interessen: 1. Verbringung in ein vollständig neu zu errichtendes Zwischenlager am Standort Jülich, 2. Verbringung in das Transportbehälterlager Ahaus, 3. Rückführung in das Herkunftsland USA.
Als das Zwischenlager 1993 eine Genehmigung für 20 Jahre bekam, war das wohl auch von der Hoffnung begleitet, dass es bis 2013 eine dauerhafte Lösung geben werde. Dies ist nicht eingetroffen. Jülich ist ein gutes Beispiel dafür, wie kurz 20 Jahre sein können und wie eng Zwischen- und Endlagerung zusammenhängen. In allen deutschen Zwischenlagern laufen die Genehmigungen in den 30er oder 40er Jahren dieses Jahrhunderts aus.
NBG im Gespräch mit der JEN
So hat das NBG gern die Möglichkeit genutzt, im Technologiezentrum Jülich zu tagen und von der JEN Informationen aus erster Hand zu erhalten. Prof. Dr. Klaus Töpfer, Ko-Vorsitzender des Begleitgremiums: „Wir sind gekommen, um Fragen zu stellen und zu lernen für unsere Aufgabe. Das NBG begleitet das Auswahlverfahren für ein Endlager. Die Sichtweisen und Sorgen der Zwischenlagerstandorte wollen wir verstehen.“
Rudolf Printz, der Vorsitzende der JEN-Geschäftsführung, stellte die JEN und ihre Aktivitäten vor. Auch Dr. Guido Caspary, Hauptabteilungsleiter Entsorgungsbetriebe, und Pressesprecher Jörg Kriewel standen für Auskünfte zur Verfügung.
Der Besuch des NBG weckte auf vielen Seiten Interesse: Der Jülicher Bürgermeister Axel Fuchs war da, WDR und Aachener Zeitung, Marita Boslar vom „Aktionsbündnis Stop Westcastor“ und der Sprecher der Bürgerinitiative „Kein Atommüll in Ahaus e. V.“ Hartmut Liebermann. Unter den weiteren Gästen waren auch eine Vertreterin und ein Vertreter aus dem Beratungsnetzwerk, von dem die Bürgervertreter*innen in das NBG gewählt wurden. Viele Perspektiven, viele Interessen.
Auch eine kleine Exkursion zur AVR-Anlage gehörte zum Programm, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie vor einigen Jahren der Reaktorbehälter ausgehoben und in ein eigens errichtetes Reaktorbehälterzwischenlager transportiert wurde.
Rudolf Printz war in seiner Präsentation der Blick auf das Ganze wichtig. Die JEN mit ihrem Dienstleistungsangebot und das Forschungszentrum, das ist ohne Frage weit mehr als ein Zwischenlager mit seinen Herausforderungen. Genauso klar war aber auch: Das NBG und die anderen Gäste hakten vor allem kritisch nach, was mit den Kugel-Brennelementen wird, und sie wollten die Zeit ganz ausdrücklich für dieses Thema nutzen.
Optionen, Wendungen, keine Entscheidung
Printz informierte das Begleitgremium im Detail über die drei vorliegenden Optionen – gut nachzulesen in der Präsentation (ab S. 39). Alle diese Optionen trügen Unwägbarkeiten in sich, die jeweils zum Scheitern führen können. Daher würden alle Pfade weiter verfolgt und geprüft.
Die rechtlichen und technischen Probleme, die es zu überwinden gilt, haben es in sich. Ein Beispiel: Im Juli 2017 hat das Bundesumweltministerium höhere Anforderungen für die Sicherung von Atomtransporten in Kraft gesetzt. So erfordere das neue Regelwerk mit seinen Auflagen die Konzeption neuer Fahrzeuge, erläuterte Printz. Hier komme man an technische Grenzen. Ein Transport nach Ahaus wäre ein logistischer Kraftakt.
Für einen möglichen Neubau des Zwischenlagers wiederum hatte das FZJ 2012 ein Grundstück ausgewählt und eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung durchgeführt. Im November 2018 teilte das FZJ der mittlerweile verantwortlichen JEN mit, dass das Grundstück nicht mehr zur Verfügung stehe. Jetzt wird ein neues gesucht. Der Planungs- und Genehmigungsaufwand steigt weiter – und das bei Anordnung einer unverzüglichen Räumung, wo Zeit der entscheidende Faktor ist. Richtig gut vermittelbar ist das nicht. Wie kann es sein, dass zwei öffentliche Einrichtungen so gegeneinander arbeiten? Das Nationale Begleitgremium will dieser Frage nachgehen.
Auf was ist Verlass?
Nicht nur in diesem Punkt stellte sich die Frage nach dem Einfluss der Politik. Im Laufe der Jahre hat es wechselnde Grundsatzentscheidungen gegeben. Im November 2008 beschloss der Aufsichtsrat des Forschungszentrums Jülich, damals Betreiber des Zwischenlagers, die Castor-Behälter nach Ahaus zu transportieren. Vier Jahre später änderte der Aufsichtsrat diesen Beschluss und votierte für die Verbringung in die USA, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Genehmigungen für die Aufbewahrung der Castor-Behälter in Ahaus und der Transport dorthin genehmigungsreif gewesen seien, wie die JEN aus ihrer Sicht betont.
Prof. Dr. Miranda Schreurs, Ko-Vorsitzende des Begleitgremiums: „Ein solcher Zickzackkurs, was auch immer die Gründe sein mögen, steht einer Lösung des Problems entgegen. Damit wird Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in einen verlässlichen Prozess zerstört.“
Bürgermeister Axel Fuchs zeigte sich dennoch zuversichtlich – die Jülicher Bevölkerung gehe insgesamt sehr unaufgeregt mit dem Thema um. Natürlich vermochte auch Fuchs nicht sicher zu sagen, ob es mit der Ruhe vorbei sein könnte, sollte ein neues Zwischenlager gebaut werden. In Ahaus jedenfalls lehnen viele den Müll aus Jülich dankend ab. Die Stadt Ahaus hat Klage eingereicht. Hartmut Liebermann, der Sprecher der dortigen Bürgerinitiative, nannte Gründe für den Widerstand. So wisse man nicht, in welchem Zustand die Brennelemente sind. Auch könnten die Behälter später nicht in ihrer jetzigen Form endgelagert werden, und eine sogenannte Konditionierung in Ahaus sei nicht möglich.
Der Vor-Ort-Besuch des Nationalen Begleitgremiums in Jülich steht in einer Reihe anderer Besuche wie denen in Lubmin, Morsleben und in der Asse.
Carolin Boßmeyer
Die Kurzberichte greifen ohne Anspruch auf Vollständigkeit ein paar Schlaglichter aus den Sitzungen auf. Ausführliche Informationen finden Sie im Ergebnisprotokoll anbei.
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