"Wir haben uns zu einem konstruktiven Störenfried entwickelt!"
Aygül Cizmecioglu
Interview mit NBG-Spitze | 27.11.2024
Miranda Schreurs und Armin Grunwald sind seit Gründung des Gremiums dabei. Seit fünf Jahren teilen sie sich den Vorsitz des NBG. In einem persönlichen Gespräch verraten sie uns das Geheimnis ihrer guten Zusammenarbeit, was das NBG aus ihrer Sicht zu dem machte, was es heute ist, und wie es vielleicht noch besser werden könnte.
Frau Schreurs, Herr Grunwald, die Endlagersuche ist ein hoch komplexes Thema. In einem Satz – was zeichnet das deutsche Verfahren aus?
Schreurs: Die deutsche Suche nach dem bestmöglichen Endlagerstandort ist eines der gründlichsten Verfahren, das man weltweit finden kann. Ich kenne kein anderes Land, wo so viel Fokus auf die beste Technologie und Sicherheit gelegt wird. Partizipation spielt eine große Rolle, auch wenn nicht alle Leute überzeugt sind, dass es ausreichend partizipativ ist.
Grunwald: Da möchte ich nur noch ergänzen, dass die Suche nach dem besten Standort meiner Ansicht nach stark mit dem Wunsch verbunden ist, politische Willkür in der Standortentscheidung auszuschließen. Die Akteure sollen den Daten der Wissenschaft folgen und das auf eine transparente Art und unter Beteiligung der Öffentlichkeit. Es soll keine rein politische Entscheidung oder noch schlimmer eine Entscheidung der Ministerpräsidenten werden.
Erst 2031, dann 2068 und nun 2074 – Die Aussicht auf den finalen Endlagerstandort rückt in immer weitere Ferne. Was hat die jüngste Verschiebung durch die vom Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) beauftragte „Prozessanalyse des Standortauswahlverfahrens“ (kurz PaSta) in Ihnen hervorgerufen?
Grunwald: Ich würde unterscheiden zwischen den Zahlen selbst und der kommunikativen Wirkung. Ob nun 2068 oder 2074. Es ist ja beides spekulativ. Es hat mich aber schon überrascht, dass die PaSta-Studie so eine große Aufmerksamkeit erhalten hat.
Schreurs: Die neue Studie hat dazu geführt, dass die Diskussionen in der Politik wieder aufgenommen wurden. Die einzelnen Schritte im Standortauswahlgesetz werden wieder genauer betrachtet mit der Frage, ob es Effizienzsteigerungen geben kann, ohne die Qualität des Verfahrens zu beeinträchtigen.
Miranda Schreurs ist Professorin für Umwelt und Klimapolitik an der TU München. Die gebürtige US-Amerikanerin forscht zu Themen wie politische Teilhabe im internationalen Kontext und ist eine weltweit anerkannte Wissenschaftlerin, wenn es um umweltpolitische Transformationsprozesse geht.
Aygül Cizmecioglu
Gerade geht ein politisches Beben durch Deutschland. Die vergangenen und anstehenden Wahlen, die Diskussion um die Rückkehr zur Atomkraft, immer stärkere antidemokratische Tendenzen in der Gesellschaft. Wie tangiert das die Endlagersuche, Frau Schreurs?
Schreurs: Die Diskussionskultur in Deutschland verändert sich. Es ist noch nicht so gravierend wie in den USA, aber man merkt, dass es den Leuten in unseren Sitzungen und Veranstaltungen manchmal weniger um die Endlagersuche an sich geht. Sie stellen einfach alles infrage. Wir müssen uns für die Zukunft Gedanken machen, wie wir miteinander kommunizieren und gemeinsam über ideologische Grundsatzdiskussionen hinauskommen.
Und wie steht es um die Diskussionskultur im Gremium? Wird hitzig diskutiert oder findet sich immer schnell ein Konsens?
Schreurs: Das hängt davon ab, welches Thema wir diskutieren. Ein bisschen Konflikt ist nicht verkehrt. Wenn wir uns immer alle einig wären, müsste man die Frage stellen, ob wir wirklich kritisch genug sind. Wir möchten auf keinen Fall durch Gruppendenken zu einer Blindheit kommen und kritische Dinge nicht mehr sehen.
Grunwald: Auch deshalb ist die Neubesetzung des Gremiums so wichtig, damit wir mal wieder ein paar neue Gesichter mit neuen Ideen bekommen. Wir haben ja aktuell drei Plätze überhaupt nicht besetzt. Den wechselnden Blick und die Perspektive von außen reinzubekommen, zeichnet Diskussionskultur des Gremiums aus.
Sie sind beide von Anfang an im NBG dabei. Haben das Gremium von heute und die Idee von damals viel gemeinsam? Woran ist das Gremium gewachsen?
Schreurs: Wir haben im Dezember 2016 angefangen mit einer kleinen Gruppe von neun Personen. Nach zwei Monaten gab es bereits die ersten Events in Form von offenen Foren. Seitdem haben wir viele neue Formate entwickelt. Die Arbeit des NBG ist mittlerweile umfangreicher als man erwarten würde für ein ehrenamtliches Gremium. Wir organisieren Workshops, versenden Newsletter, erstellen Tätigkeitsberichte und nehmen in Akten Einsicht. Wir werden als Sachverständige vom Umweltausschuss des Deutschen Bundestags eingeladen. Das sind für mich alles Zeichen, dass das NBG eine wichtige Rolle im deutschen Verfahren spielt. Was im Moment jedoch in Teilen fehlt, damit wir das, was wir machen, auch richtig gut machen können, ist die Unterstützung der Politik. Hier sei als Beispiel die stark verzögerte Neu- oder Wiederberufung der anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Gremium genannt.
Grunwald: Was wir heute sind, sind wir auch geworden, weil wir es nicht leicht hatten. Wir wurden als eine Art Störfaktor gegründet, damit Entscheidungen nicht hinter verschlossener Tür gefällt werden, sondern damit es eine Transparenzpflicht gibt und Entscheidungswege von der Öffentlichkeit beobachtet und nachvollzogen werden können. Das war den Akteuren am Anfang echt schwer klarzumachen. Dass wir mit der Akteneinsicht so weit gekommen sind, das hat jahrelange Arbeit gebraucht. Und ist auch in großen Teilen der guten und hartnäckigen Arbeit unserer Geschäftsstelle zu verdanken. Ich erinnere mich noch an einige Bemerkungen aus der früheren BASE-Leitung, die zeigten, dass man uns zunächst nicht so richtig ernst genommen hat. Aber wir haben es geschafft, uns zu einem, hier sei das Wortspiel erlaubt, „konstruktiven Störenfried“ zu entwickeln. Alle wissen nun: Man kann nicht mehr im stillen Kämmerlein sein Ding machen. Das NBG schaut hin. Diese Position haben wir uns hart erkämpft!
Armin Grunwald ist Physiker und Philosoph. Als Wissenschaftler erforscht er unter anderem die Zusammenhänge von Innovationsprozessen und Umweltentwicklungen. Er leitet zudem das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag und berät die Politik bei Fragen des wissenschaftlich-technischen Wandels.
Aygül Cizmecioglu
Haben Sie beide Lieblingsthemen auf den monatlichen NBG-Sitzungen?
Grunwald: Richtig interessant finde ich immer wieder, wenn wir uns in Gremiensitzungen die Zeit nehmen, in offene Fragen vorzustoßen und anfangen, uns eine Meinung zu bilden. Solche offenen Räume sollten wir noch häufiger einrichten. Ich denke da beispielsweise an den Impuls von unserem Partizipationsbeauftragten Hans Hagedorn und unserer nachfolgenden Diskussion: Welchen Einfluss haben populistische Strömungen auf die Kommunikation in der Endlagersuche? Und was heißt das für uns als Gremium und für das Standortauswahlverfahren generell? Solche Diskussionen sind für mich Sternstunden.
Schreurs: Für mich ist es die Bandbreite von Themen, die wir bearbeiten. Auch nach acht Jahren gibt es immer wieder neue Themen, über die man noch nicht nachgedacht hat. Ich kann sagen: Es ist für mich ein Privileg, in so einem Gremium zu arbeiten. Man beschäftigt sich mit einem der komplexesten Themen überhaupt und gleichzeitig sieht man die Bereitschaft vieler Leute, sich mit solchen schweren Themen auseinanderzusetzen.
Wie teilen Sie sich die Aufgaben als Ko-Vorsitzende auf? Haben Sie jeweils spezifische Vorlieben?
Grunwald: Ich weiß noch, Miranda, als ich damals den Ko-Vorsitz gewonnen habe. Direkt im Anschluss bin ich zu dir nach München gekommen und wir haben uns vor einem Café auf eine Bank gesetzt. Das ging unter den damaligen Corona-Auflagen gerade so. Wir haben uns mehrere Stunden unterhalten. Denn Ko-Vorsitzende müssen gut kooperieren, damit kein Sand ins Getriebe kommt. Ich glaube, dass wir damals eine gute Basis für den laufenden Betrieb geschaffen haben.
Schreurs: Was gut funktioniert, ist, dass wir einander respektieren, auch die Stärken und Schwächen des anderen. Wir spielen immer ein bisschen Pingpong miteinander. Außerdem werden wir als Ko-Vorsitzende stark unterstützt. Die Themen kommen ja nicht alle von Armin und mir selbst, sondern von dem Gremium und der Geschäftsstelle, etwa aus den Arbeits- oder Fachgruppen. In diesem Sinne ist es auch kein klassisches Gremium mit einer starken Leitung von oben. Wir moderieren. Wir versuchen, Sachen zusammenzustellen und ein wenig nach außen zu strahlen. Aber das machen auch andere innerhalb des Gremiums. Das ist ja das Tolle am NBG!
Grunwald: Ja, das kann ich nur unterstützen. Es ist ein sehr angenehmes Arbeiten!
Wo Sie gerade von Stärken und Schwächen gesprochen haben. Gibt es etwas, das Sie zur Weißglut bringt oder das Sie an dem anderen besonders schätzen?
Grunwald (lacht): So ein Typ für Weißglut bin ich eigentlich nicht.
Schreurs: Armin kann besonders gut Sachen zusammenstellen, auf den Punkt bringen und kommunizieren. Ich bin froh, wenn wir gemeinsam auf der Bühne stehen, er das Mikro greift und Dinge zusammenfasst. Das macht er wirklich gut. Ich glaube für uns beide gibt es eine Schwierigkeit – und das meinte ich vorhin mit Schwächen: Wir haben beide Fulltime-Jobs. Das macht es zu einem Jonglierakt. Man müsste noch viel mehr Zeit für das NBG haben. Und bei mir ist Deutsch keine Muttersprache. Das fühlt sich für mich immer wie ein Handicap an.
Grunwald: Ich finde, das wirkt eher liebenswürdig (beide lachen). Ich finde, Miranda, du hast einen besseren Blick für Akteurskonstellationen, für ihre Interessen und Hintergründe. Da merkt man, dass du Politikwissenschaftlerin bist. Das schätze ich gerade, weil ich das so nicht habe. Ich sehe Texte und habe einen guten Blick für die Inhalte. Ich kann gut strukturieren und auch wiedergeben. Aber dass hinter den Texten Akteure stecken mit bestimmten Absichten und dahinter wieder Akteure mit anderen Absichten – für solche Konstellationen hast du den besseren Blick.
Es klingt, als würden Sie sich sehr gut ergänzen!
Das Interview führte Ellen Boettcher von der Geschäftsstelle des NBG
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