Streitbar und gerade heraus. Monika C. M. Müller ist Westfälin und NBG-Mitglied der ersten Stunde. Im Interview erzählt die habilitierte Biologin, wie sie überhaupt ins Gremium kam, warum man manchmal Dolmetscher*innen bräuchte und wie verantwortungslose Politik manchmal die Endlagersuche torpediert.
Frau Müller, wann ist das Thema „Atommüll“ eigentlich in Ihr Leben getreten?
Tschernobyl und die Castor-Demonstrationen habe ich natürlich mitbekommen. Ich hatte auch so ein Sticker mit der Aufschrift „Atomkraft – nein Danke!“. Aber ich gehörte nicht zu den Demonstranten und habe mich auch nicht an Schienen angekettet.
Sie waren eher die Beobachterin?
Das kann man so sagen. Leute wie Jochen Stay, Martin und Ulrike Donat, Wolfgang Ehmke habe ich erst später kennengelernt.
Das waren die Gallionsfiguren der Anti-Atomkraft-Bewegung in Deutschland.
Genau! Und ich muss sagen, dass ich sie bis heute bewundere. Dafür, wie konsequent sie sich eingesetzt haben für ihre Überzeugungen. Ich weiß nicht, ob ich das gekonnt hätte. Ich bin da vermutlich viel zu zurückhaltend.
Sie sind seit 2016 im NBG, also ein Mitglied der ersten Stunde. Wie kommt man eigentlich in so ein Gremium? Wird man angerufen und gefragt?
Da muss ich etwas ausholen. Ich bin seit 2008 Studienleiterin an der Evangelischen Akademie in Loccum. Und wollte damals eine Tagung zu Atompolitik organisieren. Da fragte mich mein Chef, ob ich nicht auch die Endlagerfrage thematisieren könnte. Natürlich wusste ich, wie heiß das Thema ist und was da für Konflikte und Reibungen mitschwingen. Nach einer kurzen Bedenkzeit habe ich es gemacht. Die erste Tagung fand dann 2009 statt.
Seitdem hat sich Ihre Loccumer Tagung, die fast jedes Jahr stattfindet, etabliert. Hier trifft sich das Who is Who der Endlagerszene. Und immer wieder wird eine andere Facette des Themas beleuchtet.
Ja! 2009 ging es um das zehnjährige Moratorium von Gorleben, das auslief. 2012 organisierten wir eine Tagung nur mit Schüler*innen. Das war toll! Es ging um das Standortauswahlgesetz, nach dem Motto: Ihr könnt mitsprechen, wie das aussehen kann. Wir wollen eure Meinung hören. Man muss sagen, dass zu der Zeit sich kaum jemand mit dem Thema Endlagersuche beschäftigt hat.
Es war also auch ein Stück Pionierarbeit damals?
Bezüglich der Schülertagung sicher. Loccum aber befasst sich seit der Festlegung auf Gorleben mit dem Thema. Es kamen auch immer wieder atompolitische Sprecher*innen der Bundestagsfraktionen nach Loccum. Und wir hatten auch eine Tagung zu der Frage: Wer muss sich eigentlich um das Thema kümmern in unserer Gesellschaft? Und da hieß es: Na die Töpfers und Müllers dieser Welt.
Gemeint waren Sie und der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer, der dann auch der erste Ko-Vorsitzende des NBG wurde.
Ja, gemeint war ich, wobei ich auf der Tagung sagte, es gäbe viele Müllers im Land. Ich bekam dann tatsächlich einen Anruf einer Bundestagsabgeordneten, ob ich mir vorstellen könne, Mitglied des NBG zu sein.
Haben Sie sofort zugesagt?
Nein! Ich wollte erst eine Bedenkzeit. Zudem musste ich das mit meinem Arbeitgeber abklären.
Und was war dann für Sie ausschlaggebend, doch Ja zu sagen?
Ein Punkt war: Wenn andere mir das zutrauen, warum sollte ich mir das selber nicht zutrauen? Der zweite Punkt war: Ich kann von anderen Menschen nicht erwarten, dass sie sich engagieren, wenn ich selbst nicht bereit bin, das zu tun.
Sie haben diesen Vollzeitjob in Loccum, wo Sie sich intensiv mit Fragen zur Endlagesuche beschäftigen und Sie sind Mitglied im NBG und begleiten hier ehrenamtlich das Verfahren. Wie kriegt man beides unter einen Hut? Oder sind es de facto zwei Hüte, die man voneinander trennen sollte?
Das sind für mich zwei Hüte und trotzdem ist darunter immer derselbe Kopf. Ich glaube, meine beiden Rollen verbindet etwas. Sowohl mein Job in Loccum als auch meine Mitwirkung im NBG fordern mir Allparteilichkeit ab. Das macht es für mich auch leichter. Aber natürlich gab es seinerzeit auch Stimmen, die sagten: Wenn sie im NBG ist, kann sie die Tagung in Loccum nicht mehr machen. Sie kann dann nicht mehr so kritische Fragen stellen, weil sie Teil des Verfahrens ist.
Und, können Sie?
Kann ich! Weil es auch die Aufgabe des NBG ist, kritische Fragen zu stellen. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, sich mit allen zu unterhalten. In Loccum bringen wir die verschiedenen Akteure zusammen. Das gelingt oft, aber nicht immer. Manchmal sind die Konflikte zu groß.
Und wo muss man die Rollen klar trennen?
Ich bemühe mich, die Kontakte, die ich über das NBG habe, nicht für die Akademie auszuschöpfen. Ich glaube, dass ich mich da eher beschränke und zurückstecke. Aber das ist wichtig. Deswegen mache ich auch keine Werbung für die Loccumer Tagung im NBG.
Sie sind von Hause aus Biologin. Die Endlagersuche ist ein hochkomplexes Projekt, wo Naturwissenschaft, Sozialwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, politische Forschung zusammengedacht werden müssen. Liegt darin auch die größte Herausforderung? Diese unterschiedlichen „Sprachen“, Herangehensweisen miteinander zu verschränken?
Auf jeden Fall! Und das betrifft nicht nur die Endlagersuche. Immer wenn verschiedene Professionen zusammenkommen, knallen Begrifflichkeiten, ein bestimmtes Denken, eine bestimmte Perspektive aufeinander. Selbst wenn man die gleichen Begriffe benutzt, meint man eventuell etwas anderes. Manchmal denke ich, dass man fast Dolmetscher*innen braucht.
Und wie kriegt man bei der Endlagersuche diese verschiedenen Sprachen übersetzt?
In allererster Linie beginnt das mit einer Haltung. Ich denke, wenn eine Profession der Meinung ist, dass sie allein die Lösung hat und alle anderen nur hinderlich sind, dann ist das nicht offen und förderlich. Etwas miteinander auszuhandeln ist in der Tat unglaublich anstrengend. Da kommt der Wissenschaftskommunikation eine wichtige Rolle zu.
Im Moment liegt der Fokus bei der Endlagersuche auf der Geologie. Sozialwissenschaftliche oder politische Aspekte sind eher im Hintergrund. Wie finden Sie das?
Ich glaube tatsächlich, dass während des ganzen Verfahrens nicht alle Wissenschaften gleichermaßen im Mittelpunkt stehen werden. Sie sind gleichermaßen wichtig, aber sie werden in unterschiedlichen Etappen im Fokus stehen. Im Moment geht es primär um die Geologie. Man kann nicht partizipativ über die Eignung eines bestimmten Wirtsgesteins diskutieren. Entweder ist ein Gestein für ein Endlager aus geologischer Sicht geeignet oder nicht. Das kann man nicht abstimmen, das kann man nicht aushandeln.
Und wo gibt es die Chance der Mitgestaltung?
Das ist eine interessante Frage. Wieviel Aushandlung, wieviel Mitbestimmung ist bei der Endlagersuche möglich? Darum wird immer wieder gerungen und es gibt verschiedene Ansichten dazu. Ich glaube, es gibt eine maximale Kontrollmöglichkeit
Was heißt das genau?
Das Verfahren muss dafür so transparent wie möglich sein. Kontrollieren kann man nur, was transparent ist und was ich verstehe. Ich z. B. bin Biologin und werde keine Hydrogeologin oder Planungswissenschaftlerin mehr werden. Ich brauche also tatsächlich Experten und Expertinnen, denen ich vertraue und die für mich prüfen, ob die einzelnen Schritte bei der Endlagersuche sauber ablaufen.
Das ist auch z. B. die Aufgabe der NBG-Sachverständigen, die einzelnen Arbeitsschritte einzusehen und zu prüfen. Das geschieht durch Akteneinsicht bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die das Verfahren entwickelt und umsetzt.
Ja, und das ist auch sehr wichtig. Man braucht jenseits der Akteure genau solche unabhängigen Instanzen, die im besten Falle das Vertrauen der Öffentlichkeit genießen, nicht nur das des NBG. Zudem gibt es zivilgesellschaftliches Engagement, Menschen, die das Verfahren kritisch begleiten und überprüfen. Und das ist immens wichtig.
Eigentlich war angepeilt, dass 2031 eine Standortentscheidung fällt. Nun wurde deutlich, die Endlagersuche wird sehr viel länger dauern. Die Rede ist von 2046, vielleicht sogar 2074. Eine Verzögerung um Jahrzehnte. Wie wird diese Verzögerung vor allem die Partizipation im Verfahren beeinflussen?
Ich halte es für einen Fehler, trotz aller Bedenken, die es in der Endlagerkommission schon gab, die Jahreszahl 2031 ins Standortauswahlgesetz geschrieben zu haben. Dass Wort „angestrebt“, das dort in Zusammenhang mit 2031 steht, liest kein Mensch. Es war eine strategische Zahl, die jetzt allen auf die Füße gefallen ist. Die Menschen sind nun enttäuscht. Und diese Enttäuschung unterwandert die Glaubwürdigkeit des Verfahrens.
Hinzu kommt diese unvorstellbare Zeitdimension. Das Endlager soll Sicherheit für eine Million Jahre gewährleisten, der Prozess bis dahin wird mehrere Generationen dauern. Umgesetzt werden muss er aber von der Politik, die für vier, fünf Jahre gewählt wird. Ist das nicht ein Problem?
Das war schon immer ein Problem und ewig wurde gefordert – auch in Loccum - ein Verfahren unabhängig von Legislaturperioden zu gestalten. Das ist ja auch der Grund, warum es das Standortauswahlgesetz gibt, das mit großer politischer Mehrheit und im Konsens verabschiedet wurde.
Es geht gerade ein politisches Beben durch Deutschland – Neuwahlen im nächsten Jahr, das Aufkommen von extremen politischen Tendenzen. Diesen politischen Konsens würde es heute vermutlich nicht mehr geben. Wie robust ist das Verfahren in Ihren Augen im Moment?
Fakt ist: Der hoch radioaktive Abfall ist vorhanden und man kann ihn nicht wegdiskutieren. Wir brauchen ein Endlager in der Tiefe. Und damit sind wir nicht allein. Auch andere Länder suchen und wollen ihren hoch radioaktiven Müll tiefenlagern, weil das einfach die sicherste Methode der Lanzeitlagerung ist.
Trotzdem gibt es Stimmen, die sagen: Packen wir den Müll doch in die vorhandenen Zwischenlager.
Neben der Tatsache, dass die oberirdische Lagerung die unsicherste Variante wäre – ich erinnere nur daran, dass wir gerade Krieg in Europa haben - geht es auch jenseits dieser geopolitischen Aspekte hier um Vertrauen. Die Genehmigungen der Zwischenlager wurden für 40 Jahre gegeben und die meisten davon laufen in den kommenden Jahren aus. Wenn man jetzt den Menschen vor Ort sagt: Ihr müsst sehr viel länger oder gar für immer mit diesem Müll leben, ist das ein Vertrauensbruch. Das geht einfach nicht.
Das sind gute Argumente. Trotzdem torpedieren einige Politiker immer wieder aus Kalkül das Verfahren, indem sie wie z. B. der bayerische Ministerpräsident Markus Söder die Eignung ihres Bundeslandes infrage stellen, noch bevor die wissenschaftlichen Prüfschritte abgeschlossen sind.
Ich halte das für verantwortungslos und kontraproduktiv. Meine Befürchtung ist, dass viele Menschen sehr gerne dazu bereit sind, die leichte und nicht zutreffende Antwort lieber zu hören als sich an einer verantwortungsvollen und schwierigen Aushandlung zu beteiligen.
Stichwort Politik: die Neubenennung bzw. Nachbesetzung des NBG stockt seit Monaten. Sie sind wie einige andere im Gremium derzeit kommissarisch im Amt. Wie gehen Sie mit dieser Hängepartie um? Und drosselt das die Arbeit des NBG?
Nein, ich finde es gut, dass unser Engagement ungehindert weitergeht. Warum sollte so eine wichtige Arbeit darunter leiden, wenn bestimmte Einrichtungen und Personen es nicht hinbekommen, eine wichtige Entscheidung zu treffen?
Das passiert jetzt leider auch schon zum zweiten Mal. Auch am Ende der ersten Amtszeit ließ die Neubenennung monatelang auf sich warten.
Ich glaube, man muss der Politik zugestehen, dass manche Entscheidungen zäh sind. Wir wissen auch, dass die Welt gerade echt aus den Fugen gerät. Natürlich ist vieles wichtiger als die NBG-Besetzung. Wenn aber dadurch keine zuverlässige Benennung möglich ist, muss man sich überlegen, ob ein anderer Modus gefunden werden kann. Vielleicht muss man auch ein bisschen Gelassenheit walten lassen. Ich finde, das NBG macht das richtig und schmeißt die Arbeit nicht gleich hin. Das halte ich für verantwortungsvoll. Trotzdem zeigt sich an diesem Umgang ein Mangel an Wertschätzung. Und was ich absolut unsäglich finde, ist dieses politische Gezerre und Geziehe um die Besetzung, der Versuch der Einflussnahme. Das ist unwürdig und beschädigt das Verfahren.
Zeit für eine kleine Bilanz. Was hat das NBG bisher erreicht?
Das NBG hatte gleich am Anfang einen fulminanten Start und hat bewiesen, dass es sehr eigenständig handelt. Wir hatten die Novelle des ersten Standortauswahlgesetzes auf dem Tisch und dieser sollte gar nicht öffentlich beraten werden. Dennoch hat das NBG innerhalb von weniger als zwei Monaten eine öffentliche Veranstaltung auf die Beine gestellt und den Entwurf mit der Öffentlichkeit diskutiert. Das war ein echtes Highlight. Dass die Arbeitsstände der BGE jetzt auch schrittweise veröffentlicht werden, ist ebenfalls ein Verdienst des NBG. Wir wollten die schrittweise Veröffentlichung schon auf dem Weg zum Zwischenbericht Teilgebiete.
Und was muss besser werden?
Vielleicht müssen wir nach außen noch besser kommunizieren, was wir genau machen und wie wir dieses Verfahren begleiten.
Das NBG ist unabhängig, Teil des Verfahrens und trotzdem steht es ein wenig an der Seitenlinie. Wie muss man sich die Zusammenarbeit mit den anderen Akteuren vorstellen? Kooperativ sein und trotzdem den kritischen Blick bewahren. Wie kriegt man das hin?
Ich würde sagen indem man wach bleibt. Indem man keine Pauschalvereinbarung trifft, so nach dem Motto: Wir ziehen jetzt immer am selben Strang und sind immer einer Meinung. Ich glaube es ist wichtig, dass wir um den besten Weg ringen und offen Argumente austauschen.
Letzte Frage. Was würden Sie sich für die Endlagersuche wünschen?
Wie viele Wünsche habe ich frei?
Leider nur einen.
Dann wünsche ich mir, dass wir es als deutsche Gesellschaft hinbekommen einen Endlagerstandort zu finden und gemeinsam die Verantwortung dafür zu übernehmen. Also weg von diesem Gedanken: Ihr seid verantwortlich. Stattdessen mehr: Wir als Gesellschaft, wir schaffen das.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Aygül Cizmecioglu von der Geschäftsstelle des NBG.
Dr. habil. Monika C. M. Müller ist seit Dezember 2016 Mitglied im Nationalen Begleitgremium.
Wer steckt eigentlich hinter dem Nationalen Begleitgremium? In einer losen Reihe von Interviews und Artikeln erzählen unsere Mitglieder ihre ganz persönliche NBG-Geschichte. Was ist ihre Motivation? Wo liegen die größten Herausforderungen? Die weiteren Texte finden Sie in unserem Dossier.
Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden. Weitere Informationen zum Datenschutz erhalten Sie über den folgenden Link: Datenschutz