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Ge­stat­ten, Mar­kus Drö­ge!

Foto von Markus Dröge (Mitglied des Nationalen Begleitgremiums) NBG-Mitglied Markus Dröge
Aygül Cizmecioglu

NBG stellt sich vor | 09.09.2020

Er war lange Jahre Landesbischof und ist nun Mitglied im NBG. Markus Dröge gilt als Brückenbauer, der es versteht, zwischen unterschiedlichsten Positionen zu vermitteln. Ein Gespräch über den Wert des Ehrenamtes, die Spielarten von Macht und warum Vertrauen nur im Dialog entsteht.

Herr Dröge, wann sind Sie mit dem Thema „Atommüll“ das erste Mal in Berührung gekommen?

Ich war ja lange Jahre Pfarrer und Superintendent in Koblenz gewesen und dort gibt es das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich. Und als das gebaut wurde, haben wir uns dagegen ausgesprochen.

Wann war das?

Das muss in den 80er Jahren gewesen sein. Wir haben damals in der Kirchengemeinde Gesprächsgruppen veranstaltet und versucht, uns sachlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Gegend ist ein Erdbebengebiet. Daher wollten wir das Projekt verhindern. Und inzwischen ist das Atomkraftwerk ja auch wieder abgebaut worden.

Sind Sie als junger Mann mit „Atomkraft? Nein Danke!“-Plakaten auf die Straße gegangen?

Ja, auch! Aber ich war nicht an vorderster Front bei den Demonstrationen. Wir haben uns eher in diesem kirchlichen Arbeitskreis fachlich mit der Atomkraft beschäftigt. Wir haben z. B. Fachleute eingeladen, haben uns eine Meinung gebildet und dann versucht, als Kirchengemeinde in der Öffentlichkeit unsere Position zu begründen.

Sie waren bis 2019 Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Wie kommt eigentlich so ein erfahrener Theologe ins NBG?

Ganz einfach - ich bin vorgeschlagen worden. Sylvia Kotting-Uhl, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzende im Umweltausschuss, hat mich gefragt.

Was war für Sie persönlich ausschlaggebend, „Ja“ zu sagen? Immerhin ist es ein sehr zeitintensives Ehrenamt.

Ich bin Ende 2019 in Ruhestand gegangen. Und ich glaube, dass sich Pensionäre – wenn sie noch gut bei Kräften sind – auch gesellschaftlich engagieren sollten. Als Pfarrer und Bischof habe ich ja mein Leben lang selbst Ehrenamtliche angeworben. Dann ist es auch nur konsequent, wenn man mit gutem Beispiel vorangeht und sich selbst auch ehrenamtlich einsetzt. 

Und was hat Sie inhaltlich gereizt?

Natürlich ist das ein Thema, mit dem man keine Blumentöpfe gewinnen kann. Es geht um eine extrem schwierige Frage und eine große Herausforderung: Was machen wir mit diesem gefährlichen Müll? Ich engagiere mich hier, weil ich von meinem Glauben her davon überzeugt bin, dass man auch unbequemen Themen nicht ausweichen darf. Da können wir nicht sagen: das sollen die anderen machen. Das Ziel muss sein, eine sachgerechte, transparente Entscheidung für einen Endlagerstandort zu treffen. Das ist für den Zusammenhalt der Gesellschaft extrem wichtig.

Warum?

Es darf in unserer Demokratie nicht der Eindruck entstehen, dass sich Lobbygruppen oder Interessensvertreter*innen durchsetzen. Entscheidungsprozesse müssen so gestaltet werden, dass Bürger*innen diese nachvollziehen können. Nur so bewahrt man das Vertrauen in unser freiheitlich-demokratisches System.

Foto von Markus Dröge (Mitglied des Nationalen Begleitgremiums)
Markus Dröge, Jahrgang 1954, gehört zu den profiliertesten Theologen Deutschlands. Als Diplomatensohn wuchs er in Washington, Bonn, Paris und Brüssel auf. Er war lange Jahre Superintendent in Koblenz und zwischen 2009 und 2019 Landesbischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz Aygül Cizmecioglu

Dieses Vertrauen wurde in der Vergangenheit oft verspielt. Stichwort Gorleben – hier wurden politische Entscheidungen in Hinterzimmern getroffen. Die Bevölkerung blieb außen vor. Die Nachwirkungen hallen bis heute nach. Wie kriegt man diese Brüche gekittet?

Vertrauen kann man nur im Dialog aufbauen. Man muss nachvollziehen können, warum ein Gesprächspartner, auch wenn er sachlich eine andere Position vertritt, so entschieden hat. Man muss offen sein und ihm auch gute Gründe zugestehen.

Können Sie verstehen, dass trotzdem bei vielen Bürgerinitiativen die Skepsis groß ist?

Das kann ich! Vertrauen ist sehr schnell verspielt. Aber es wieder aufzubauen, dauert sehr lange. In Gorleben ist sehr viel schiefgelaufen, was zu einer großen gesellschaftlichen Konfrontation geführt hat. Jetzt muss die Politik erst einmal beweisen, dass sie diesen neuen Entscheidungsprozess wirklich transparent und offen gestalten will.

Die Entscheidungsträger sind also in einer Art „Bringschuld“?

Ja! Natürlich ist das nicht einfach. Und unsere Aufgabe als NBG ist es ja nicht, selbst zu entscheiden, sondern dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Entscheidungen fällen, diese sachlich und transparent begründen können. Es dürfen sich nicht irgendwelche Hintergrundinteressen durchsetzen, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden.

Gibt es da jetzt schon Anlass zur Sorge?

Nennen wir das Kind doch beim Namen. Wenn im bayerischen Koalitionsvertrag gesagt wird, dass Bayern als Endlagerstandort nicht infrage kommt, dann verspielt man Vertrauen. Woher wollen die Politiker*innen am Koalitionstisch wissen, dass ihr Bundesland sachlich dafür ungeeignet ist? Und da müssen wir als NBG immer den Finger in die Wunde legen und sagen, dass das so nicht geht. Am Ende muss sich eine wissenschaftsbasierte, mit Fakten begründete Entscheidung durchsetzen.  

Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), das für die Öffentlichkeitsbeteiligung zuständig ist, hat bisher eher informiert als wirklich beteiligt. Reicht das?

Ich bin ja noch nicht lange dabei, aber ich merke schon, wie schwierig es ist, die Öffentlichkeit angemessen zu beteiligen. Natürlich ist es leichter, die Menschen zu informieren und dann zu erwarten, dass sie alles nachvollziehen können. Beteiligungsprozesse sind sehr anstrengend und sie müssen gut moderiert werden. Gerade bei der Veröffentlichung des Zwischenberichts und der anschließenden Fachkonferenz ist es so entscheidend, dass nicht nur reine Information angeboten wird, sondern echte Partizipation stattfindet. Da muss das BASE noch beweisen, dass das funktioniert.

NBG-Mitglieder Markus Dröge und Günther Beckstein (39. NBG-Sitzung, 18.06.2020/Berlin) NBG-Mitglieder Markus Dröge und Günther Beckstein (39. NBG-Sitzung, 18.06.2020/Berlin)
Partizipation bei der Endlagersuche - wie könnte sie funktionieren? Mit dieser Frage beschäftigt sich Markus Dröge federführend in der NBG-Fachgruppe "Öffentlichkeitsbeteiligung" Aygül Cizmecioglu

Wie müsste Ihrer Meinung nach die ideale Partizipation in dem Prozess aussehen?

Partizipation wird ja oft von denjenigen, die eingeladen werden, sich zu beteiligen, so verstanden, dass sie mitentscheiden wollen. Das kenne ich auch aus vielen kirchlichen Prozessen. Aber letztlich liegt die Verantwortung bei den Entscheidungsträgern, die das Mandat dafür haben. Die können natürlich diese Aufgabe nicht an die Öffentlichkeit delegieren. Das muss erst mal deutlich sein: Partizipation bedeutet nicht, dass ich meine Entscheidung durchsetzen kann. Auf der anderen Seite, darf es auch nicht sein, dass derjenige, der entscheidet, gar nicht auf kritische Rückfragen eingeht.

Und dieses kritische Feedback soll dann idealerweise eingebaut werden in die Entscheidung?

Genau! Die Verantwortlichen müssen das Feedback ernst nehmen. Am Ende müssen sie deutlich machen, wie mit Fakten umgegangen worden ist, welche Kritik, berücksichtigt wurde und warum bestimmt Punkte nicht in die Entscheidung eingeflossen sind.

Früher waren die Fronten klar. Hier die Politik, da die Atomkraft-Gegner. Nun gibt es den Atomkonsens. Alle wollen den Ausstieg aus der Kernenergie. Aber in der Diskussion, wie die Endlagersuche konkret ablaufen soll, schimmern diese Schwarz-Weiß-Muster immer wieder durch. Warum eigentlich?

Natürlich ist man von einer Geschichte geprägt. Und wenn in der Vergangenheit viel Misstrauen geherrscht hat, und man dem anderen nicht zutraute, ehrlich zu sein, dann wirkt das noch bei vielen Akteuren nach. Wir brauchen heute einen sachlichen Streit, um den besten Weg. Da müssen wir verhindern, dass alte Geschichten von vornherein nur Misstrauen reproduzieren.

Könnten Sie es nachvollziehen, wenn Atomkraftgegner im Laufe des Prozesses den Dialog verweigern?

Menschlich vielleicht. Wenn Bürgerinitiativen einst wirklich sehr viel Ungerechtigkeit erfahren haben und auch übergangen worden sind, ist ihr Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen ein Stück weit nachvollziehbar. Aber es wäre schade, wenn in dieser neuen Situation, wo wir ein gemeinsames Ziel haben, diese alten Grabenkämpfe verhindern würden, dass wir heute einen sachlichen Streit führen.

Foto der Hände von Markus Dröge (Mitglied des Nationalen Begleitgremiums) NBG-Mitglied Markus Dröge
"Einen statt spalten" - dieses Credo prägt Markus Dröges Leben. Er setzte sich als Theologe immer wieder für den Dialog zwischen Juden, Christen und Muslimen ein. Aber er war auch ein Mann klarer Worte, vor allem wenn es um Rechtspopulismus und Rassismus ging Aygül Cizmecioglu

Als Bischof haben Sie sich stark für den interreligiösen Dialog eingesetzt, galten als guter Vermittler zwischen unterschiedlichen Positionen. Können Sie diese Eigenschaft auch im NBG einsetzen?

Ich glaube schon. Ich habe tatsächlich Erfahrung darin, Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, unterschiedlichen religiösen Anschauungen und Kulturen an einen Tisch zu bringen. Das war z. B. bei Gedenkfeiern nach Anschlägen gefragt. Juden, Christen und Muslime haben sich da trotz aller Unterschiede, zusammengesetzt und einen gemeinsamen Weg des Gedenkens gesucht.

Also den kleinsten gemeinsamen Nenner?

Den gibt es meistens, aber nicht abstrakt, sondern oft in einer konkreten Sachfrage. Und das ist letztlich auch bei der Endlagersuche der Fall. Es gibt unterschiedliche Vorstellungen, unterschiedliche politische Couleur, aber wir müssen einem gemeinsamen Ziel dienen.

Nämlich?

Den Endlagerstandort mit der bestmöglichen Sicherheit finden. Auch im NBG spiegelt sich ja diese Vielstimmigkeit wider. Da sitzt ein ehemaliger CSU-Ministerpräsident neben Leuten, die gegen Atomkraft gekämpft haben. Insofern ist dieses Gremium eine Art Nagelprobe. Wenn wir trotz aller Unterschiede einen sachlichen Diskurs hier im Kleinen hinbekommen, können wir zeigen, dass es im Großen, in der Gesellschaft auch möglich ist.

Gestatten, NBG-Mitglied Markus Dröge!

Wenn wir ehrlich sind: kein Mensch möchte in seinem Vorgarten ein Endlager für hoch radioaktiven Müll haben. Wie erklärt man Herrn X oder Frau Y, dass es trotzdem wichtig ist, dass einige Wenige, die Last von Vielen schultern müssen? Wie kriegen wir da eine Akzeptanz hin?

Ich glaube, es ist illusorisch zu denken, man könnte da eine ungebrochene Zustimmung erreichen. Aber wenn transparent kommuniziert wird, könnten wir vielleicht eine gesellschaftliche Grundakzeptanz gewinnen. Es gibt ja auch andere Themen, wo einzelne Regionen Lasten tragen müssen.

Können Sie da ein Beispiel geben?

Ich selbst hatte als Bischof mit der Braunkohle-Thematik in Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz zu tun. Da wurde jahrzehntelang eine Region abgebaggert, um aus Braunkohle Strom zu gewinnen. Damit in Berlin die Lichter brannten. Da war es wichtig, die Menschen dort in der Lausitz nicht alleinzulassen.

Was bedeutete das genau?

Da wurden ja ganze Dörfer abgebaggert und gewachsene Kulturen fast zerstört. Wir konnten eigentlich nur darauf drängen, dass flankierende Maßnahmen ermöglicht werden. Dass zum Beispiel eine Dorfkirche mit großem Aufwand mit umgesiedelt wird. Dass soziale Programme für die Menschen, die umgesiedelt werden mussten, von den Regierungen bezahlt werden. Eine Gesellschaft muss also die Lasten, die einzelne Regionen tragen, auch in irgendeiner Weise kompensieren. Die betroffenen Menschen müssen spüren: Wir tun etwas für unser Land, aber unser Land lässt uns damit auch nicht allein.  

Foto von Markus Dröge (Mitglied des Nationalen Begleitgremiums) NBG-Mitglied Markus Dröge
Einmischen, verändern, gestalten - Markus Dröge hält nichts von religiösen Elfenbeintürmen. Für ihn heißt Christsein, Stellung beziehen, handeln - auch bei unbequemen Themen Aygül Cizmecioglu

Blicken wir auf den Faktor Zeit. 2031 soll die Entscheidung für den Endlagerstandort fallen. Wie realistisch ist dieser Zeitplan?

Wir als NBG sind da eher kritisch. Aufgrund der Coronakrise ist die Öffentlichkeitsbeteiligung sehr viel schwieriger geworden. Daher haben wir dafür plädiert, die Veröffentlichung des Zwischenberichts und die Fachkonferenzen zu verschieben. Das ist leider nicht so entschieden worden. Das zeigt aber, dass wir als NBG diejenigen sind, die sagen: sachliche Arbeit, Transparenz und Beteiligung stehen an erster Stelle. Und die Geschwindigkeit muss sich dem anpassen.

Es gibt Kritiker, die sagen, das NBG sei ein zahnloser Tiger, ein Alibi-Gremium, das oft etwas fordert, was aber de facto nicht umgesetzt wird. Was sagen Sie dazu?

Da müsste ich zurückfragen: Was heißt „zahnloser Tiger“? Wir haben natürlich nicht die Entscheidungsmacht. Aber wenn man behauptet, dass nur derjenige mächtig ist, der zu entscheiden hat, dann ist das ein komisches Verständnis von gesellschaftlicher Partizipation. Wir als NBG haben die Macht, Dinge öffentlich zu benennen und auch zu kritisieren. Und das ist in einer Demokratie, die stark durch Öffentlichkeitsarbeit geprägt wird, auch eine Macht. Das ist zwar nicht die Entscheidungsmacht, aber es ist die Macht, Meinungen mit zu beeinflussen. Und nicht zuletzt können wir an Politiker*innen im Parlament herantreten und darauf hinweisen, wenn Dinge nicht so laufen, wie sie gedacht waren.

Herr Dröge, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Aygül Cizmecioglu von der Geschäftsstelle des NBG

Markus Dröge ist seit März 2020 Mitglied im Nationalen Begleitgremium.

Wer steckt eigentlich hinter dem Nationalen Begleitgremium? In einer losen Reihe von Interviews und Artikeln erzählen unsere Mitglieder ihre ganz persönliche NBG-Geschichte. Was ist ihre Motivation? Wo liegen die größten Herausforderungen? Die weiteren Texte finden Sie in unserem Dossier.

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