Erst Teil der Endlagerkommission und seit 2016 im NBG. Klaus Brunsmeier ist ein Chronist der oft konfliktreichen Atomkraft-Debatten in Deutschland. Ein Gespräch über die Politisierung in der Provinz, klare Kante bei unbequemen Diskussionen und falsche Signale bei der Endlagersuche.
Herr Brunsmeier, Sie sind Jahrgang 1958. Sind Sie als junger Mann mit „Atomkraft? – Nein Danke“-Plakaten auf die Straße gegangen oder interessierte Sie das Thema damals gar nicht?
Also ich komme ja aus dem Lipper Land, aus der schönen Stadt Lügde. Und wenn man dort über den Berg geht, ist man schon in Grohnde.
…wo es in den 70er Jahren zu heftigen Protesten gegen den Bau eines Kernkraftwerks kam.
Genau! Mit dem Mofa bin ich dort zu einer Veranstaltung gefahren. Ich war auch überhaupt nicht festgelegt, sondern nur neugierig und interessiert. Und plötzlich landete ich mitten in einer Auseinandersetzung, die später als „Schlacht um Grohnde“ in die Protestgeschichte der Anti AKW Bewegung eingegangen ist.
Das müssen Sie erklären.
Da waren viele tausend Polizisten und Menschen auf einem Acker, die aufeinander einprügelten. Das hat mich damals sehr geschockt, dass ich so eine Staatsgewalt erleben musste. Das hat mich echt geprägt.
Und auch politisiert?
Ja, auf jeden Fall! Ich war fassungslos, in welcher Art und Weise der Staat hier etwas durchsetzte. Mir wurde klar: Das mit der Atomkraftnutzung kann nicht in Ordnung sein, wenn man es so durchsetzen muss. Ich habe später direkt neben der Baustelle in Grohnde einen Teil meiner Lehre gemacht im Garten -und Landschaftsbau, und hatte das praktisch tagtäglich vor Augen - diese Zäune, diese Wachmannschaften, diese nächtlichen Lichter, dieses ungute Gefühl, diese Angst…So habe ich eine sehr kritische Haltung gegenüber der Atomenergie entwickelt und mich auch ein Leben lang mit dem Thema auseinandergesetzt.
Wie sah das konkret aus? Haben Sie sich in Organisationen engagiert?
Damals stand in der Anti-AKW und Ökologie-Bewegung die Frage im Raum: Gründen wir eine Partei oder einen Verband? Am Ende gab es beides – die Grünen und den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Und ich habe mich dann für das Engagement im Verband entschieden.
Sie saßen dann später auch als Vertreter des BUND in der sogenannten Endlagerkommission, wo die Weichen für das jetzige Standortauswahlverfahren gestellt wurden. Das verwundert etwas, weil viele Umweltorganisationen wie der BUND dem Prozess sehr kritisch gegenüberstanden.
Das stimmt! Das Standortauswahlgesetz von 2013 haben wir als Verband massiv abgelehnt und infrage gestellt. Dann wurde lange diskutiert, ein neues Gesetz zu formen und dafür wurde die Kommission eingerichtet. Auch da war der BUND zunächst noch ablehnend.
Warum?
Weil das im Grunde genommen wenig Aussicht hatte, unseren Ansprüchen gerecht zu werden. Die Atomindustrie hatte das noch voll im Griff. Es gab dann aber ein politisches Zeitfenster, wo alle Fraktionen im Bundestag sagten: Doch, wir wollen das besser machen. Dann gab es im BUND viele Diskussionen und am Ende wurde mehrheitlich entschieden, mitzumachen, und dass ich das übernehme. Doch ich war am Ende des Prozesses sehr unzufrieden, weil wir wesentliche Eckpunkte des BUND nicht einbringen konnten.
Welche waren das?
Wir hatten als BUND gefordert, dass es am Ende der Phase I auch Rechtsschutz für die Menschen gibt, der Atomausstieg ins Grundgesetz kommt, damit nicht eine einfache politische Mehrheit das wieder ändern kann. Weiterer wichtiger Punkt war, dass man die Atommülllager-Standortsuche nicht losgelöst von der Frage der Zwischenlagerung betrachten kann. Im Grund genommen muss es für die Zwischenlagerung auch ein ähnliches Verfahren geben, gleiches gilt für die schwach- und mittelradioaktiven Abfallstoffe. Damit sind wir damals leider gescheitert.
All diese Punkte haben es dann nicht in den Abschlussbericht der Endlagerkommission geschafft. Sie selbst waren mit dem Ergebnis am Ende nicht einverstanden.
Deswegen habe ich dem Abschlussbericht auch nicht zugestimmt. Trotzdem habe ich bis zum Schluss daran mitgearbeitet, weil es auch viele positive Punkte gab, z. B. die „weiße Landkarte“, die wissenschaftsbasierte Suche nach einem Standort oder die Errichtung des NBG, also eine neue Form unabhängiger Begleitung. Es hatte sich also auch gelohnt, in der Kommission zu bleiben.
Was war die Idee damals hinter dem NBG?
Na ja, die Lebenserfahrung bis dahin hatte ja gezeigt, dass der Staat in der Vergangenheit alles im Sinne der Atomkonzerne entschieden hat. Das NBG sollte außerhalb der staatlichen Institutionen positioniert werden, ausgestattet mit bestimmten Rechten und Pflichten und es sollte diesen Prozess konstruktiv und kritisch begleiten.
Sie und Armin Grunwald sind dann als ehemalige Mitglieder der Endlagerkommission später auch ins neu gegründete NBG gekommen. Wie lief das konkret ab?
In meinem Fall war das zunächst eine Verbandsentscheidung. Der BUND machte selbst den Vorschlag und stimmte zu, dass ich das übernehme. Das letzte Wort hatte aber natürlich der Deutsche Bundestag, der die Mitglieder des NBG beruft.
Aber Sie hätten auch Nein sagen können. Was war und ist Ihr Antrieb, im NBG mitzumachen?
Wir wollten, dass das aufgebaute Wissen aus der Kommission im NBG weiter seine Wirkung entfaltet, Armin Grunwald und ich sollten die Garanten dafür sein, dass dieses Wissen aus der Kommission nicht verloren geht.
Dann können Sie mir bestimmt auch sagen, wie die Jahreszahl 2031 ins Standortauswahlgesetz kam? Ursprünglich war die Entscheidung für einen Endlagerstandort zu diesem Datum geplant. Nun kam raus: Es gibt eine Verzögerung um Dekaden.
Jedem, der eins und eins zusammenzählen konnte, war klar: 2031 wird es keinen Standortvorschlag geben. Man wollte aber ein schnelles Ziel setzen, damit das Thema nicht versandet und der Prozess auch tatsächlich engagiert angegangen wird.
Trotzdem hat die Nachricht der Verzögerung Unsicherheit und Enttäuschung verursacht.
Leider! Aber es war eine strategische Jahreszahl, um den Prozess zu beschleunigen, nicht um ihn zu desavouieren. Die Verzögerung wird nun von bestimmten Leuten instrumentalisiert, um das Verfahren auszuhöhlen. Es gibt schon Vorschläge, auf bestimmte Gesteinsarten zu verzichten, alles schnell schnell zu machen. Die Zeitdebatte wird gnadenlos und plump ausgenutzt. Im Moment bin ich ganz dankbar, dass das NBG mit eigenen Veranstaltungen dazu beiträgt, diese Beschleunigungsdebatte sachlich einzuordnen. Auch in anderen Ländern dauert die Endlagersuche entsprechend lange. Und ich bin nach wie vor davon überzeugt: Die Zeit folgt dem Verfahren und nicht umgekehrt.
Je länger die Endlagersuche dauert, desto länger muss der hoch radioaktive Abfall in den zumeist überirdischen Zwischenlagern bleiben. Deren Genehmigungen laufen in den nächsten Jahren peu à peu aus, da ist noch kein Endlager in Sicht. In Zeiten von Krieg mitten in Europa und der Gefahr vor Terrorangriffen ist das ein echtes Sicherheitsproblem, oder?
Wir haben in Lubmin z. B. die Situation, dass man ein neues Zwischenlager mit entsprechenden Schutzeinrichtungen plant, das den heutigen Sicherheits- und Sicherungsvorschriften einigermaßen genügen könnte. Plant man aber ein solches Zwischenlager wie in Lubmin, dokumentiert man, dass all die anderen Zwischenlager in Deutschland diese Schutzmaßnahmen nicht haben, weil sie aus alten Zeiten stammen
Und was ist die Lösung?
Wir sollten zunächst die gesamte Entsorgungskette in den Blick nehmen - von der Entstehung der radioaktiven Abfälle, über den Transport, über die Zwischenlagerung, die Einlagerung bis zum Verschluss. Insofern muss es ab sofort einen eigenen Beteiligungsprozess für die längere Zwischenlagerung geben, genauso wie für den Verbleib der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle. Das gibt es so noch nicht. Das NBG muss sich dafür einsetzen, dass solche Prozesse aufgesetzt werden.
Viele Zwischenlager-Standorte fordern jetzt schon eine finanzielle Entschädigung. Solche Rufe werden sicherlich auch laut, wenn es später um einen Endlagerstandort geht. Wie stehen Sie grundsätzlich dazu? Sind Kompensationszahlungen erlaubt oder setzen sie ein falsches Signal?
Das sollte man differenziert betrachten. In Ländern wie Finnland oder Schweden, in denen der gesamte Untergrund praktisch aus einer einzigen Gesteinsart besteht und es nahezu egal ist, wo das Endlager hinkommt…
…weil die Geologie überall recht günstig ist.
Genau! Da finde ich es in Ordnung, dass man schaut: Wo liegt die größte Akzeptanz - auch über Ausgleichszahlungen. In Deutschland haben wir andere Voraussetzungen. Wir haben drei unterschiedlich geeignete Gesteinsarten und wir haben uns vorgenommen, den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit zu finden. Und dieser bestmögliche Standort muss sich an der Geologie orientieren und nicht an möglichen Geldzuweisungen.
Kritiker bezeichnen das NBG manchmal als „Feigenblatt der Politik“ als „zahnlosen Papiertiger“. Was sagen Sie dazu? Hat das NBG eine Schlagkraft?
Ich empfand uns am Anfang recht zahnlos, das ist wahr. Aber inzwischen haben wir zusammen mit anderen doch einiges Vertrauen aufbauen können.
Zum Bespiel?
Dass die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ihre Arbeitsstände nun kontinuierlich mit der Öffentlichkeit teilt. Das war früher nicht so. Wenn man jetzt Zwischenschritte veröffentlicht, kann das Vertrauen schaffen.
Und wo gibt es für das NBG noch Luft nach oben?
Im Strahlenschutz haben wir noch große Leerstellen. Darum müssen wir uns in Zukunft stärker kümmern. Wir sollten auch von diesem abstrakten Narrativ des Einbeziehens der jungen Generation weg.
Was meinen Sie damit?
Immer nur zu fordern: Wir müssen die junge Generation stärker einbinden. Wir müssen stattdessen viel stärker darauf hinwirken, dass Forschung und Wissenschaft sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen und gute Rahmenbedingungen für Nachwuchsforschende geschaffen werden. Dann beschäftigen sich automatisch junge Menschen mit dem Thema und bleiben dran.
So wie Sie. Die Endlagersuche und der Umgang mit unseren atomaren Altlasten begleitet Sie schon fast Ihr ganzes Leben. Was würden Sie sich zukünftig für den Prozess wünschen?
Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass das Standortauswahlgesetz in seiner vorliegenden Form für Deutschland der bisher beste Vorgehensvorschlag ist. Und mein Wunsch wäre, dass man weiter wissenschaftsbasiert, partizipativ, transparent, selbsthinterfragend und lernend sauber das Verfahren voranbringt und nach allen Prüfungen und Vergleichen den Standort mit der bestmöglichen Sicherheit für Deutschland findet.
Und wenn dieser Ort dann zufällig in Ihrem Vorgarten wäre?
Dann ist das so. Wenn ich von dem Prozess überzeugt bin, habe ich kein Problem damit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Aygül Cizmecioglu von der Geschäftsstelle des NBG.
Klaus Brunsmeier ist seit Dezember 2016 Mitglied im Nationalen Begleitgremium.
Wer steckt eigentlich hinter dem Nationalen Begleitgremium? In einer losen Reihe von Interviews und Artikeln erzählen unsere Mitglieder ihre ganz persönliche NBG-Geschichte. Was ist ihre Motivation? Wo liegen die größten Herausforderungen? Die weiteren Texte finden Sie in unserem Dossier.
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