Mit Abstand, aber ohne Abstriche bei den Beteiligungsrechten!
Angesichts der Corona-Pandemie soll der erste Beratungstermin der Fachkonferenz Teilgebiete ausschließlich im Online-Format durchgeführt werden. Je nach Pandemie-Entwicklung gilt das auch für den zweiten und dritten Konferenztermin. Unter welchen Voraussetzungen ist eine reine Online-Beteiligung rechtlich zulässig? Welche rechtlichen Anforderungen sind bei der Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Fachkonferenz Teilgebiete zu beachten?
Anforderungen des Standortauswahlgesetzes
Das Standortauswahlgesetz (StandAG), insbesondere die Regelung zur Fachkonferenz Teilgebiete in § 9 StandAG spricht sich nicht ausdrücklich gegen eine Durchführung im Online-Format aus. In § 5 Abs. 2 S. 3 StandAG wird zur Unterrichtung und Beteiligung der Öffentlichkeit vielmehr explizit der Einsatz des Internets und anderer geeigneter Medien empfohlen. Bei Erlass des StandAG wurde von einer Präsenzveranstaltung mit medialer Unterstützung ausgegangen, nicht von reinen Online-Formaten.
Eine „Konferenz“ setzt von der Wortbedeutung her mehr voraus als z.B. eine Anhörung. Über das reine „(Zu-) Hören“ hinaus geht es bei einer Konferenz um das „Zusammentragen“ und den Austausch verschiedener Perspektiven und Ansichten. Der Zwischenbericht soll nach § 9 Abs. 2 S. 1 StandAG erörtert werden und am Ende zu Beratungsergebnissen führen (s. § 9 Abs. 2 S. 3 StandAG). Zur Erörterung ist im Rahmen der Fachkonferenz Teilgebiete ein Austausch zwischen den Teilnehmenden der Konferenz erforderlich. Damit dieser im Rahmen eines reinen Online-Formates gelingen kann, müssen sich die Teilnehmenden wie bei einer Präsenzveranstaltung mit ihren Ansichten und Fragen einbringen und diese mit anderen Teilnehmenden austauschen können. Bei erforderlichen Beschlussfassungen muss ein auf demokratischen Prinzipien beruhendes Abstimmungsverfahren durch die Teilnehmenden festgelegt werden und durchführbar sein. Ist diese Grundanforderung über ein Online-Tool und unter Einhaltung auch (datenschutz-) rechtlicher Anforderungen zu gewährleisten?
Anforderungen des Verfassungsrechts vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie
Auch verfassungsrechtliche Vorgaben müssen beachtet werden. Dies gilt vor allem bei der Einschränkung der Öffentlichkeitsbeteiligung durch die Untersagung von Präsenzveranstaltungen. Aus dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz) leitet das Bundesverfassungsgericht eine Pflicht zur Beteiligung der (potenziell betroffenen) Öffentlichkeit im Umwelt- und insbesondere im Atomrecht ab. Nach der sog. Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber alle für den Grundrechtsschutz wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und darf diese nicht einfach der Verwaltung überlassen. Dies gilt auch für die Regelungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Der Gesetzgeber hat am 18.11.2020 das sog. Dritte Bevölkerungsschutzgesetz erlassen, das auch eine Regelung zur Einschränkung von Veranstaltungen wie z. B. die Fachkonferenz Teilgebiete enthält.
Für eine ganze Reihe von umweltrechtlichen Beteiligungsverfahren hat der Gesetzgeber im sog. Planungssicherstellungsgesetz den Ersatz von Erörterungsterminen durch Online-Beteiligungsformate vorgesehen, nicht jedoch für das Standortauswahlgesetz.
Europa- und völkerrechtliche Anforderungen an die Öffentlichkeitsbeteiligung
Beim Thema Öffentlichkeitsbeteiligung ist zudem der Blick über den „Tellerrand“ des nationalen Rechts hinaus wichtig. Viele Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung im nationalen Recht und im Unionsrecht gehen auf die sog. Aarhus-Konvention zurück. Dieser auch für die Bundesrepublik Deutschland verbindliche völkerrechtliche Vertrag verlangt eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung zu einem Zeitpunkt, zu dem alle Optionen noch offen sind und eine effektive Öffentlichkeitsbeteiligung stattfinden kann. Diese Vorgaben und entsprechende Bestimmungen in EU-Richtlinien sind auch im Standortauswahl-verfahren zu beachten. Das zur Überwachung der Vertragsbestimmungen eingerichtete Compliance-Committee hat angesichts der aktuellen Corona-Pandemie klargestellt, dass die Anforderungen der Aarhus-Konvention zur Beteiligung der Öffentlichkeit während der Pandemie und in der anschließenden Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs mit gleicher Kraft gelten. Die in der Konvention festgelegten verbindlichen Rechte dürfen nicht unter Berufung auf die Pandemie oder die Notwendigkeit einer raschen wirtschaftlichen Erholung reduziert oder beschnitten werden.
Fazit
Die Beteiligungsrechte und -möglichkeiten dürfen in keiner Weise beschränkt werden. Gemeinsam sollten wir dafür sorgen, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung auch in Corona-Zeiten ohne Abstriche durchgeführt wird. Ist das nicht möglich, muss nach Alternativen gesucht werden.