"Gute Beteiligung entsteht nie am Schreibtisch"
18.01.2024
Hans Hagedorn hat einen herausfordernden Job. Er ist seit 2019 Partizipationsbeauftragter. Er soll bei der Endlagersuche frühzeitig Konflikte erkennen und bei möglichen Spannungen zwischen den Akteuren vermitteln. Und wie schlägt er sich? Hier redet er Klartext über Stolpersteine im Verfahren, die Bilanz der letzten Jahre und warum man den Humor auf keinen Fall verlieren sollte.
Herr Hagedorn, Sie haben vor rund vier Jahren als Partizipationsbeauftragter angefangen und Ihren Job mit dem eines Fußballtrainers verglichen. Halbzeit ist noch lange nicht, aber wie läuft das Spiel?
Ich habe jetzt eine neue Aufgabe, ich bin nun Balljunge. Das ist gerade auch wichtiger als Fußballtrainer zu sein. Denn das Passspiel ist noch sehr ungenau, die Bälle gehen oft ins Aus. Viele Spieler wurden schon ausgewechselt, Tor-Chancen werden erst 2027 erwartet, dafür hat man sich schon mal über die Verlängerung unterhalten. Und die Einschaltquote sinkt.
Den Humor haben Sie auf jeden Fall nicht verloren.
Im Ernst: Wir erleben eine Verschiebung von Prioritäten. Im Jahr 2013 war der Atomausstieg frisch beschlossen, die Konflikte um die zivile Nutzung der Kernenergie waren noch präsent, ein günstiges Zeitfenster für die Neuordnung der Endlagerung war gegeben. Mit diesem Schub wurde das Standortauswahlverfahren entwickelt und in ein Gesetz gegossen.
Das sogenannte Standortauswahlgesetz (StandAG). Inwieweit haben sich die Koordinaten seitdem verändert?
Ich glaube, die Aufmerksamkeit liegt nun auf anderen Themen. Auf der politischen Agenda stehen Klimakrise, Energieknappheit und Krieg. Das Standortauswahlverfahren hat kaum einer auf dem Schirm. Zudem haben sich in diesem Verfahren prägende Personen anderen Aufgaben zugewandt, sind im Ruhestand oder gar verstorben. Die jetzt vorliegende Zeitschätzung hat viele ernüchtert.
Sie meinen die Tatsache, dass 2022 publik wurde, dass die Endlagersuche Jahrzehnte länger dauern wird als ursprünglich geplant. Keine Standortentscheidung also 2031! Nun ist die Rede von 2046 oder gar 2068.
Genau! In der Diskussion über die neuen Zeitszenarien wurde klar, dass wir hier ein Mehrgenerationen-Projekt betreiben, dass nicht minutiös planbar ist.
Was hat diese Verzögerung um Dekaden für Folgen?
Das Thema „Atom“ verliert seine Bedrohlichkeit, von der frühere Debatten immer geprägt waren. Demografisch bedingt treten Personen in das Verfahren ein, die keine direkten biografischen Bezüge zu Wackersdorf, Gorleben oder Tschernobyl haben. Zum erwarteten Zeitpunkt der Standortbenennung könnte ein atomares Endlager wie ein – zwar unbequemer, aber – gewöhnlicher Industriestandort bewertet werden. Das ist aber nur ein mögliches, eher harmloses Szenario.
Und was wäre ein Worst-Case-Szenario?
Zukünftige Akteure, die sich mit den Folgen der fossilen und atomaren Energiepolitik ihrer Vorgänger auseinandersetzen müssen, werden Zweifel an deren Weitsicht hegen und die Entscheidungsqualität in Frage stellen. Die Bindungswirkung von heutigen Entscheidungen wird schwinden. Es sei denn, ihr gesellschaftlicher Rückhalt wird kontinuierlich erneuert und auch von den nachfolgenden Akteuren für richtig befunden. Das Standortauswahlgesetz (StandAG) von 2017 wird entweder mehrfach evaluiert oder es wird 2068 nicht mehr akzeptiert werden.
Das heißt, man sollte das Standortauswahlgesetz, das ja eine Art „Fundament“ des ganzen Verfahrens darstellt, jetzt schon genauer unter die Lupe nehmen und überarbeiten?
Teils teils. Die DNA der Endlagersuche darf sich nicht verändern. Das Verfahren muss auf wissenschaftliche Kriterien basieren, möglichst transparent ablaufen und von der Öffentlichkeit mitgestaltet werden. Das sind die Spielregeln, auf die sich einst alle Parteien verständigt haben. Und man ändert nicht mitten im Spiel die Regeln.
Aber wenn wir immer wieder betonen, dass der Prozess lernend und selbsthinterfragend sein soll, dann müssen wir auch auf der anderen Seite offen sein für Veränderungen.
Und das betrifft vor allem den Bereich der Partizipation?
Auch! Gute Öffentlichkeitsbeteiligung entsteht nie am Schreibtisch, sondern im Austausch mit den Menschen. Wir müssen schauen, was die Bürgerinnen und Bürger ganz konkret brauchen – einfache Infos, verständliche Veranstaltungen, mehr Fachanalysen und darauf passgenau Lösungen liefern. Bisher arbeiten wir mit Beteiligungskonzepten, die sich die Endlagerkommission 2016 erdacht hat. Das muss jetzt mit den Erfahrungswerten abgeglichen und aktualisiert werden.
Reden wir Tacheles! Wie bewerten Sie das Agieren der unterschiedlichen Akteure im Verfahren. Fangen wir mit dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) an, das ja die Verantwortung für die Endlagersuche trägt, diese beaufsichtigt und vor allem für die Partizipation zuständig ist.
Das BASE war weitsichtig und hat die fehlende Zeitplanung von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) frühzeitig eingefordert.
Die BGE ist die Firma, die das Endlager bauen soll.
So ist es. Dass wir erst jetzt über einen validen Zeitplan reden, liegt vermutlich daran, dass zu wenige Institutionen ein Interesse an dieser Debatte hatten. Zu viele Akteure haben Schutz in der Unkenntnis gesucht - gerade auch als die Bundesrepublik über die Finalisierung des Atomausstiegs diskutiert hat. Der sich nun in den Ruherstand verabschiedende BASE-Präsident Wolfram König hat beide Themen – Zeitplanung und Bedeutung des Atomausstiegs – immer klar angesprochen, damit hat er dem Verfahren sehr gedient.
Das BASE hat also alles richtig gemacht?
Bei der Organisation der Öffentlichkeitsbeteiligung habe ich das BASE leider als sehr widersprüchlich erlebt. Die Mitarbeiter beteuern regelmäßig, dass die Öffentlichkeit das Verfahren mitgestalten soll. Faktisch wurde das Forum Endlagersuche als ein wichtiges Beteiligungsformat durch viele Entscheidungen des Amts ausgebremst und von fachlichen Inhalten ferngehalten. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass das Bundesamt die öffentliche Debatte zu stark kontrollieren wollte. Das mag kurzfristig für Ruhe sorgen, langfristig ist es Gift für den Erfolg der Endlagersuche.
Ein offener Umgang mit der öffentlichen Debatte ist aber nur möglich, wenn das Amt auch seine eigene Arbeitskultur verändert. Es gibt zu viele Abstimmungsschleifen im Amt, Mitarbeitende dringen oft mit ihren guten Ideen nicht durch.
Das ist eine ziemlich harte Kritik.
Sie wollten, dass ich Tacheles spreche, also tue ich es. Und offene Worte sind hier nötig. Die neue Amtsleitung des BASE hat da einen längeren Umbauprozess vor sich, der aber von den anderen Institutionen sehnlich erwartet wird.
Und wie schlägt sich die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) im Verfahren, die die operative Seite des Verfahrens innehat, geologische Daten auswertet und die Vorschläge für einen Endlagerstandort macht?
Die BGE segelt wie ein Dreimaster durch den stürmischen Ozean und führt gewissenhaft Logbuch. So wirkt es zumindest auf mich und viele andere. Beeindruckend finde ich, wie die BGE sich selbst als „Hochzuverlässigkeitsorganisation“ bezeichnet und dafür auch ein sogenanntes integriertes Managementsystem einsetzt.
Stopp, bitte keine Insider-Begriffe. „Integriertes Managementsystem“ – was bedeutet das?
In der BGE arbeiten ca. 120 Personen im Bereich Standortauswahl arbeitsteilig zusammen. Es ist eine Riesenherausforderung diese Arbeit so zu organisieren, dass fachliche Zusammenhänge richtig verarbeitet, rechtliche Anforderungen beachtet, Fehler frühzeitig erkannt und Sicherheitsrisiken vermieden werden. In vielen Unternehmen gibt es dafür genaue Vorschriften, die sich teilweise widersprechen und behindern können. Die BGE integriert alle diese Anforderungen in einen übergreifenden Ablauf, damit jede Entscheidung aus unterschiedlichen Perspektiven überprüfbar bleibt.
Und das funktioniert?
Das wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Ich hoffe sehr, dass die BGE auch unter der neuen Geschäftsführung diese Strategie weiterverfolgt, ihre Entscheidungen regelmäßig veröffentlicht und im Detail diskutiert. Nur so werden wir ein Endlager in einer offenen und demokratischen Gesellschaft bauen können.
Wie sieht in Ihren Augen die bisherige Bilanz des Nationalen Begleitgremiums (NBG) aus, das ja die Endlagersuche unabhängig begleiten soll?
Wer ein zähes Verfahren begleiten muss, dessen Arbeit ist halt auch sehr zäh. Ein ehrenamtliches Gremium wie das NBG mit bis zu 18 Mitgliedern braucht viele Abstimmungsprozesse und hat es schwer, schnell klare Positionen zu entwickeln.
Dennoch hat das NBG die Debatte um die neuen Zeitszenarien mit einer eigenen Veranstaltungsreihe qualifiziert. In den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob die anderen Institutionen daraus klare Schlussfolgerungen ziehen. Die Zeitpläne für Phase 1 müssen jetzt zusammenfließen. BGE, BASE und Gesetzgeber müssen da Hand in Hand arbeiten, damit die Standortregionen fachlich fundiert, öffentlich nachvollziehbar und gesetzlich abgesichert erkundet werden können. Parallel muss das Vorgehen in Phase 2 und 3 konkretisiert werden, evtl. sogar mit gesetzlichen Änderungen. Das NBG wird da immer wieder vermitteln müssen und die Grundprinzipien des Verfahrens anhand konkreter Kriterien messen und bewahren.
Ihre Aufgaben erfordern einen unabhängigen Blick, eine gewisse Selbstständigkeit. Gleichzeitig sind Sie Teil der NBG-Geschäftsstelle, arbeiten Tür an Tür mit den anderen Referenten und Referentinnen zusammen. Wie kriegt man da die Trennschärfe hin?
In letzter Zeit verschwammen etwas die Grenzen, das ist richtig. Die Benennung von Konflikten ist kein einfacher Job, vor allem wenn sich Konfliktbeteiligte unfair angeprangert fühlen. Der Überbringer der schlechten Nachricht sollte sich klar unterscheiden von einem Gremium, welches sich anschließend vermittelnd für eine Lösung einsetzt.
Ich habe daher mit dem NBG geklärt, dass ich meine Empfehlungen erkennbar als Partizipationsbeauftragter tätige. So konnte ich z.B. eine sich abzeichnende Gefahr für das Forum Endlagersuche in einem Brief an das BASE sehr undiplomatisch und deutlich benennen.
Jetzt schauen Sie mal kritisch selbst in den Spiegel. Was würden Sie als Partizipationsbeauftragter mit dem Wissen von heute anders machen?
Ich war sehr lange im Verfahren recht unsichtbar, weil ich mich entschieden hatte, erst nur zu beobachten und zu analysieren. Das hat dazu geführt, dass ich und meine Rolle wenig greifbar waren. Ich würde heute nicht so lange warten, bis ich aktiv für Konfliktlösungen angefragt werde, sondern aus eigener Initiative Probleme ansprechen.
Aber die eigentlichen „Probleme“ werden ja erst beginnen, wenn es eine gewisse Betroffenheit gibt. Noch ist halb Deutschland im Rennen als potentieller Endlagerstandort. Da interessiert das Thema wenige Menschen.
Und durch die Zeitverzögerung wird diese Tendenz noch verstärkt. Gerade deshalb muss ich in Zukunft viel mehr in die Regionen gehen, um dort die Stimmungen zu verstehen. Also raus aus dieser selbstreferentiellen Berliner Bubble und mehr unterwegs sein.
Gab es auch Erfolgsmomente als Partizipationsbeauftragter?
Die gab es. Nach der Fachkonferenz Teilgebiete, einem wichtigen Meilenstein im Verfahren, war nicht klar, wie es mit der Partizipation weitergehen wird – auch weil das Gesetz ursprünglich nicht von so langen Zeitläufen ausgegangen ist. Hier konnte ich zusammen mit der Öffentlichkeit und dem BASE das Folgeformat Forum Endlagersuche initiieren. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Was ist für Sie die größte Herausforderung bei der Endlagersuche?
Ich sehe die große Gefahr, dass das Verfahren abseits der Realität der Menschen geräuschlos abläuft. Und irgendwann gibt es eine Standortentscheidung und die Betroffenen verstehen nicht, warum sie sich neben steigenden Energiekosten und globaler Unsicherheit nun auch mit einem Endlager in ihrer Heimat beschäftigen müssen.
Und das wäre eine Bankrotterklärung für das ganze Verfahren?
Im Extremfall ja! Und deswegen müssen alle Akteure der Endlagersuche immer wieder ihre Abläufe reflektieren und anpassen.
Das Interview führte Aygül Cizmecioglu von der Geschäftsstelle des NBG
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